Welche Faktoren können eine Gewichtszunahme bei Diabetes Typ 1 beeinflussen?

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In den letzten Jahren ist eine Zunahme von Übergewicht und Adipositas in der Gesamtbevölkerung zu beobachten. Sind Menschen mit Diabetes von Gewichtszunahme, Übergewicht und Adipositas eher betroffen? Besteht ein Zusammenhang zwischen Diabetes Typ 1 und Übergewicht bzw. Adipositas? Welche Faktoren können Übergewicht und/oder Gewichtszunahme bei Diabetes begünstigen? Spielt Insulin beim Zunehmen eine Rolle? Wie sieht es mit Hypoglykämien aus? 

Zahlen zu Übergewicht, Adipositas, BMI und Auswirkung der Gewichtszunahme

Heutzutage leben viele Menschen mit Übergewicht. Nach den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird anhand des Body-Mass-Indexes [BMI: Gewicht (kg)/(Größe in m)²] Übergewicht als BMI [25-29,9] kg/m², Adipositas als IMC≥30 kg/m² definiert.

Adipositas begünstigt das Auftreten anderer Krankheiten und erhöht das Risiko für Stoffwechselerkrankungen (Diabetes, erhöhte Blutfett- oder Harnsäurewerte im Blut (Gicht)) und Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Bluthochdruck, Angina pectoris, Infarkt, Schlaganfall), Gelenkerkrankungen (Schmerzen, Arthrose) oder Atemwegserkrankungen. Übergewicht wirkt sich auch auf die psychische Gesundheit aus. Bei einigen Menschen führt es zu vermindertem Selbstwertgefühl und Niedergeschlagenheit sowie zu sozialen Schwierigkeiten wie Stigmatisierung und daraus resultierender Isolation. 

Prävalenz und Entwicklung von Übergewicht in Europa 

Gesamtbevölkerung 

Die ObÉpi-Umfrage (2012) ergab, dass in Frankreich 15 % der über 18-Jährigen adipös und 32 % übergewichtig waren. Durchschnittlich nimmt der Anteil adipöser Menschen in Frankreich um 0,5 % pro Jahr zu. Frankreich ist kein Sonderfall1

Aus den Angaben der WHO und der Analyse der Ernährungsindikatoren im Europäischen Raum 2013 ging hervor, dass gemäß den Schätzungen bezüglich Übergewichts und Adipositas in 46 Ländern über 50 % der erwachsenen Bevölkerung über 20 Jahren übergewichtig waren; in 40 Ländern ergab sich ein Anteil von über 20 % adipösen Erwachsenen2.

Auch Kinder sind betroffen. Laut einem internationalen Bericht von 2013 ist der Anteil von 11-jährigen Kindern mit Übergewicht am höchsten in Griechenland (33 %), gefolgt von Portugal (32 %), Irland (30 %) und Spanien (30 %); den niedrigsten Anteil hatten die Niederlande (13 %) und die Schweiz (11 %)3.

Menschen mit Typ-1-Diabetes

Gemäß der französischen Analyse der Nationalen Repräsentativen Kontroll-Stichprobe von Menschen mit Diabetes (2007) sind 31 % der Menschen mit T1D in Frankreich (im Alter von durchschnittlich 42 Jahren mit seit 17 Jahren bestehendem Diabetes) von Übergewicht und 14 % von Adipositas betroffen4. Diese Daten liegen in Bezug auf die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas sehr nahe an denen der Gesamtbevölkerung. 

Manchmal treten die Probleme mit dem Übergewicht und/oder der Gewichtszunahme bei Diabetes bereits im Kindesalter auf. So zeigte eine Studie von 2015 in Deutschland und Österreich und in den Vereinigten Staaten bei Kindern und Jugendlichen (2 bis 18 Jahre) mit Typ-1-Diabetes, dass 24 % von ihnen übergewichtig und 15 % adipös waren5

Zusammenhänge zwischen Gewichtszunahme und Typ-1-Diabetes mit Insulinbehandlung 

Wirkt sich Diabetes Typ 1 auf das Gewicht aus? Wenn ja, wie? 

Die umfangreiche Studie DCCT (Diabetes Control and Control Trial) in den Vereinigten Staaten an einer Population von Menschen mit Typ-1-Diabetes zeigte, dass die intensive Behandlung mit Insulin (Pumpe oder mindestens 3 Insulininjektionen pro Tag zum Erreichen eines möglichst normalen Blutzuckerspiegels), die eine bessere Blutzuckerkontrolle ermöglicht, gleichzeitig zu einer Gewichtszunahme von durchschnittlich 4,8 kg im Vergleich zur herkömmlichen Behandlung (höchstens 2 Insulininjektionen pro Tag mit breiterem Zielbereich) geführt hatte. Diese Gewichtszunahme war allerdings in der Studienpopulation nicht homogen. Sie war zeitlich beschränkt (vor allem auf das erste Jahr) und trat hauptsächlich in Verbindung mit der anfänglichen Verbesserung der Blutzuckerkontrolle auf. Die Schlussfolgerung der Studie lautete, dass je höher der Blutzuckerspiegel zu Beginn der Intensivbehandlung war, desto stärker auch die Gewichtszunahme ausfiel6 .

Typ-1-Diabetes: Welche Faktoren können Übergewicht und/oder Gewichtszunahme begünstigen? 

Gut zu wissen 

Folgende Faktoren können bei Menschen mit Diabetes Typ 1 Gewichtszunahme und Übergewicht begünstigen: 

  • Neueinstellung eines schlecht eingestellten Diabetes;
  • häufige Zuckeraufnahme bei wiederholten Hypoglykämien (Unterzuckerungen);
  • Tendenz zu Bewegungsmangel aus Angst vor Hypoglykämien;
  • anabolisierende Eigenwirkung von Insulin; 
  • unausgewogene Ernährung und/oder Probleme mit dem Essverhalten. 

Neueinstellung des Typ-1-Diabetes 

Die Neueinstellung eines schlecht eingestellten Diabetes kann zu einer Gewichtszunahme führen, da aufgrund des gesenkten Blutzuckerspiegels kein Zucker mehr ausgeschieden wird (Glucosurie). Die vorher über den Urin ausgeschiedenen Kalorien bleiben so dem Körper erhalten und kommen zur gesamten Kalorienzufuhr hinzu7

Häufigere Hypoglykämien 

In der Optimierungsphase der Behandlung können Hypoglykämien häufiger auftreten. Diese werden durch schnelle Zucker- und demnach Kalorienaufnahme in manchmal nicht unerheblichen Mengen korrigiert. 

Die Studie DCCT zeigte eine durchschnittliche Gewichtszunahme von 7 kg innerhalb eines Jahres bei Menschen mit mindestens einer schweren Hypoglykämie8

Anmerkung: Schwere Hypoglykämien treten bei einem hohen Anteil der Menschen mit Typ-1-Diabetes auf. In Frankreich berichteten 2007 39 % der Betroffenen, im Laufe der vergangenen 12 Monate mindestens eine schwere Hypoglykämie erlebt zu haben; bei Menschen unter 45 Jahren war die Häufigkeit sogar höher9. Heute ist diese Häufigkeit allerdings dank der Entwicklung und Optimierung neuer Behandlungslösungen zweifellos geringer10

Tendenz zum Bewegungsmangel 

Die Angst vor einer Hypoglykämie bei körperlicher Anstrengung könnte zudem zu Bewegungsmangel, weniger Sport und damit auch zu einer Gewichtszunahme führen11

Auswirkung von Insulin auf Gewichtszunahme und den Stoffwechsel

Das Hormon Insulin wirkt sich auch direkt auf den Stoffwechsel aus. Je nach Dosierung fördert es die Fettproduktion und -ablagerung (Anabolismus). Es bewirkt auch eine Erhöhung des Gehalts von Leptin im Blut, das mit der Gewichtszunahme in Verbindung steht. Menschen mit dem am stärksten erhöhten Leptingehalt zeigten demnach auch die größte Gewichtszunahme12

Ernährung und/oder Probleme mit dem Essverhalten 

Wirkt sich die Methode der Anpassung der gespritzten Insulindosis auf das Gewicht aus? Die Berechnung der Menge der eingenommenen Kohlenhydrate (oder das Zählen der Kohlenhydrate bzw. Broteinheiten), die nunmehr als Grundlage für die Bestimmung der zu verabreichenden Insulindosis dient, scheint weder bei Erwachsenen noch bei Kindern zu einer Gewichtszunahme zu führen13. Eine reichhaltige und unausgewogene Ernährung trägt jedoch dazu bei. 

Probleme mit dem Essverhalten können vor allem im Jugendalter ein Faktor für Gewichtszunahme sein. Menschen mit Typ-1-Diabetes sind um 1 bis 2 % häufiger von Bulimie oder Hyperphagie betroffen, unspezifische Probleme mit dem Essverhalten sind um 4 bis 8 % häufiger als in der Gesamtbevölkerung.    

Folgende Phänomene und Symptome sind zu beobachten: 

  • Unzufriedenheit mit dem Körper (sich dick, unattraktiv fühlen) und geringes Selbstbewusstsein, 
  • Fokussierung auf Lebensmittel und Gewicht (Diäten, Abnehmen etc.), 
  • Angst vor Hypoglykämien und Verzehr von Kohlenhydraten zur Prävention oder Korrektur, 
  • Angst davor, nicht mit den Einschränkungen durch die Insulinbehandlung zurechtzukommen, 
  • Ablehnung der Erkrankung und der Kontrolle durch die Eltern. 

In einigen Fällen können Ärzte und Diabetologen, insbesondere bei jungen Frauen, eine übermäßige Beschäftigung mit dem Aussehen, dem Gewicht und dem Essen, ein Verlangen nach Kontrolle und Beherrschung, einen Wunsch nach Perfektion, der starke Ängste auslöst, feststellen und Gewichtsschwankungen beobachten. „Diabulimie“ ist eine besondere Form der Essstörung. Es handelt sich um eine Kombination aus Bulimie und absichtlichem Auslassen von Insulin zur Gewichtskontrolle15,16

Stress und Angst 

Man spricht von „Frustessen“ oder „emotionalem Essen“. In Stress- oder Angstsituationen beruhigen sich einige Menschen mit Nahrung und Knabbereien. Bevorzugt werden dazu stark fett- und zuckerhaltige Produkte konsumiert. Wenn diese manchmal erhebliche zusätzliche Energie nicht verbraucht wird, lagert sie der Körper ein, was eine Gewichtszunahme begünstigt, auch bei Diabetes mellitus. 

Bibliographie

  1. ObÉpi 2012. Enquête épidémiologique nationale sur le surpoids et l’obésité. Paris: Inserm/Kantar Health/Roche. 2012. https://presse.inserm.fr/wp-content/uploads/2012/10/obepi_2012.pdf
  2. 2. WHO Global Health Observatory Data Repository [online database]. Geneva, World Health Organization, 2013 (http://apps.who.int/gho/data/view.main, accessed 24 July 2013).
  3. 3. Currie C et al., eds. Social determinants of health and well-being among young people: Health Behaviour in School-aged Children (HBSC) study: international report from the 2009/2010 survey. Copenhagen, WHO regional office for Europe, 2012. (Https://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0004/243337/Summary-document-53-MS-country-profile.pdf)
  4. Dossou Y, Roudier C, Penfornis A, Fagot-Campagna A, Druet C. Diabète de type 1 en France métropolitaine : caractéristiques, risque vasculaire, fréquence des complications et qualité des soins. Entred 2001 et Entred 2007. Bull Epidémiol Hebd. 2013;(37-38):477-84.
  5. DuBose  SN, et al. Obesity in youth with type 1 diabetes in Germany, Austria, and the United States. J Pediatr 2015, 167(3):627-632
  6. DCCT research group. Influence of intensive diabetes treatment on body weight and composition of adults with type 1 diabetes in the Diabetes control and complications trial. Diabetes Care 2001;24:1711-21.
  7. Carlson MG, Campbell PJ. Intensive insulin therapy and weight gain in IDDM. Diabetes 1993;42:1700-7.
  8. DCCT research group. Weight gain associated with intensive therapy in the Diabetes control and complications trial. Diabetes Care 1988;11:567-73
  9. Dossou Y, Roudier C, Penfornis A, Fagot-Campagna A, Druet C. Diabète de type 1 en France métropolitaine : caractéristiques, risque vasculaire, fréquence des complications et qualité des soins. Entred 2001 et Entred 2007. Bull Epidémiol Hebd. 2013;(37-38):477-84.
  10. Functional intensified insulin therapy with short-acting insulin analog: effects on HbA1c and frequency of severe hypoglycemia An observational cohort study. Hartemann-Heurtier A, Sachon C, Masseboeuf N, Corset E, Grimaldi A Diabetes Metab 2003,29,53-7 
  11. Brazeau A-S et al.  Barriers to Physical Activity Among Patients With Type 1 Diabetes Diabetes Care 31:2108–2109, 2008.
  12. Aas AM, Hanssen KF, Berg JP, et al. Insulin-stimulated increase in serum leptin levels precedes and correlates with weight gain during insulin therapy in type 2 diabetes. J Clin Endocrinol Metab 2009;94:2900-6.
  13. Gökşen, Altınok, Ozen, Demir. Effects of carbohydrate counting method on metabolic control in children with type 1 diabetes mellitus. J Clin Res Pediatr Endocrinol. 2014;6(2):74-8.
  14. Darmon P. Conduites alimentaires : la diaboulimie de l’adolescente. Le Quotidien du Médecin N°9688. 24 Septembre 2018.
  15. Greeno , Wing. Stress-induced eating. Psychol Bull.. 1994 May;115(3):444-64.
  16. larrañaga , Docet, García-Mayor. Disordered eating behaviors in type 1 diabetic patients. World J Diabetes. 2011 Nov 15;2(11):189-95

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